Wie ein Mann den dritten Weltkrieg verhinderte

von Markus Schaaf

Kennen Sie Wassili Alexandrowitsch Archipow? Dieser Mann hat vor exakt 60 Jahren den 3. Weltkrieg verhindert. Doch der Reihe nach…

Anfang der 60-er Jahre befanden sich Russland und die USA mitten in einem gigantischen Wettrüsten. Seit Jahren wurden immer noch «leistungsfähigere» Waffen entwickelt, mit denen man den Gegner eliminieren wollte. Langstreckenbomber wurden als Träger eingesetzt, um die tödlichen Interkontinentalraketen möglichst nahe ans Ziel zu bringen. Doch solche Flugzeuge konnten auf dem Radar erkannt werden und damit hatte der Gegner Zeit, seine eigenen Raketen in Position zu bringen und abzufeuern. Um diese Vorwarnzeit zu umgehen, mussten Raketen näher am Ziel installiert werden. Die Russen stellten ihre Mittelstreckenraketen zuerst in der DDR, danach in Kaliningrad auf. Die USA stationierten im Gegenzug Raketen in England, Süditalien und in der Türkei. Vor allem die 25 Jupiter-Raketen im türkischen Izmir wurden von den Russen als grosse Bedrohung empfunden.

1960 nahm die damalige UdSSR diplomatische Beziehungen mit Kuba auf. Dort hatte der junge Revolutionär Fidel Castro den Diktator Batista gestürzt. Die UdSSR sah die einmalige Chance, auf kubanischem Boden und damit praktisch vor der Haustüre der USA, Atomwaffen zu stationieren. Anfang August 1962 hatte der amerikanische Geheimdienst zum ersten Mal verlässliche Hinweise, dass die Russen Atomwaffen in Cuba stationieren wollten.

In den folgenden Wochen spitzte sich die Situation stetig zu, bis es am 14. Oktober 1962 zur «Kubakrise» kam. Der amerikanische Präsident John F.Kennedy wollten gegen Kuba eine Seeblockade verhängen und damit verhindern, dass die russischen Transportschiffe ihre tödliche Fracht abliefern konnten. Der russische Präsident Nikita Chruschtschow verkündete, die Blockade nicht zu akzeptieren. Die in Kuba stationierten Raketen würden nur der Verteidigung dienen.

Am 24. Oktober begannen amerikanische Kriegsschiffe die Seeblockade – man nannte sie «Quarantäne» - gegen Kuba umzusetzen. Drei Tage später, am 27. Oktober, also vor genau 60 Jahren, kam es zur Eskalation, die beinahe in der grossen Katastrophe geendet wäre. Die amerikanische Marine blockierte einen russischen Frachter und wollten ihn zur Umkehr zwingen. Der Frachter hatte einen Begleitschutz von vier russischen U-Booten. Mit Übungsbomben zwangen die Amerikaner die U-Boote zum Auftauchen. Was sie nicht wussten: Mindestens eines dieser U-Boote hatte Atomwaffen an Bord. Als die U-Boot-Besatzung merkte, dass sie mit Bomben bekämpft wurden, war die Ausgangslage klar: Sie mussten ihre Atomraketen starten und damit gegen die USA schiessen – so lautete der klare und unmissverständliche Einsatzbefehl aus Moskau.

Für den Abschuss der Waffen war an Bord die Zustimmung von drei Offizieren notwendig, die des Politoffiziers, des U-Boot-Kommandanten und des Flotten-Kommandanten. Die ersten beiden stimmten dem Abschussbefehl zu, sie meinten, der Beschuss ihres Bootes sei ein klarer Hinweis, dass der Krieg zwischen USA und UdSSR bereits ausgebrochen sei. Flottenkommandant Wassili Alexandrowitsch Archipow stimmte dagegen und verhinderte mit seinem Veto den Abschuss der Nuklearwaffen. Er konnte den U-Boot-Kommandanten schliesslich davon überzeugen, das Boot auftauchen zu lassen um auf weitere Befehle aus Moskau zu warten. Der Abschussbefehl aus Moskau blieb aus und kurz danach konnte die Situation entspannt werden, die Kubakrise war bewältigt.

Erst im Herbst 2002 wurde die Öffentlichkeit informiert, dass damals ein Mann namens Archipow die Menschheit vor einem Atomkrieg bewahrt habe. Für Archipow hatte sein Verhalten keine negativen Auswirkungen. Er arbeitete bis Dezember 1975 in verschiedenen Dienststellungen vom Kommandanten eines U-Bootes bis zum U-Boot-Divisionskommandeur in der Nord-, Schwarzmeer- und Baltischen Flotte. Von 1975 bis 1985 war er Kommandeur der Kaspischen Höheren Seekriegsschule. Danach ging er – dekoriert mit den höchsten Orden der russischen Armee - in Pension. Er verstarb 1998, im Alter von 72 Jahre, an Nierenkrebs.

Was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist heute wieder möglich. Es braucht nur ein kleines Missverständnis, nur eine falsche Entscheidung – und der Albtraum eines nuklearen Kriegs könnte bittere Wirklichkeit werden. Umso wichtiger sind auch heute Menschen wie Archipow, die den Mut und die Willenskraft haben, selber zu denken und verantwortungsvoll zu handeln.

Standpunkt im Tössthaler vom 21. Oktober 2022   Bild: https://www.faces-of-peace.org/wassili-archipow/